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AND HER DANCING AND HER LAUGHING.

Ich sehe was, was du nicht siehst.November 22nd, 2009

Schon seit langem immer beschäftigt mich das Thema der Wissens-/Informationsaufnahme und -vermittlung. Anstoß für dieses Thema gab mir mein Biologiestudium vor rund 2 Jahren. Während des fortschreitenden Schwierigkeitsgrades stand ich immer stärker vor dem Problem, das geforderte Wissen mit meinem Kopf nicht aufnehmen zu können. Es lag jedoch nicht an fehlender Intelligenz. Ich kannte das Problem bereits aus meiner Schulzeit: Ich war eher der audiovisuelle Lerntyp. Vorträge, Diskussionen(!), Mindmaps, lautes Vorsprechen, herumlaufen, etwas tun – das war der Weg damit Informationen in meinem Gehirn gespeichert blieben. Passive Aufnahme – Lesen, Aufgaben still bearbeiten – dagegen brachte mich stets zur Verzweiflung.

In der Schulzeit glaubte ich wegen meiner teils ausreichenden Noten einfach an meine Unfähigkeit, begriff nicht, warum mein Notenspiegel bei aktiven Projekten ins Positive schoss und bei passiven ins Negative. Hinzu kam, dass ich mir oft mein fotografisches Gedächtnis zunutze machte, ich wusste also in einer Klausur an welcher Stelle der Seite die Antwort auf die gestellte Frage gestanden hatte – und konnte sie so reproduzieren. Ohne diesen Trick wäre ich wohl in der Schule nicht weit gekommen, denn Informationen von sturem Auswendiglernen verpufften nach der geschriebenen Klausur sofort, wenn nicht schon vorher. Meine sprachliche Begabung hat zusätzlich das gröbste herausgerissen, denn in Sprachen habe ich dieses Problem seltener, wenn ich auch hier das aktive Sprechen dem passiven Grammatiklernen vorziehe, einfach weil ich Zusammenhänge zwischen Worten und Sätzen erschließen kann.

Im Studium stand ich aber vor dem Problem, dass meine alte Technik nicht mehr griff. Denn biologische Zusammenhänge sind teilweise so komplex, dass man sie auf geschickte Art und Weise (auch schonmal mit “Eselsbrücken”) in aufnehmbare Informationen umwandeln muss. Audiovisuelle Lerntechniken haben als Grundlage, dass man Wissen meist nicht Eins-zu-Eins, sondern nach Verständnis lernt. Und genau das war in meinen Biologieklausuren nicht gefragt. Gefragt waren Vokabeln, Begriffserklärungen, Zusammenhänge so wie sie im Buch stehen. Kurz gesagt: Stures Auswendiglernen.

Wer wie ich schonmal an einer großen Uni studiert hat weiß, dass Vorlesungen oft sehr unruhig verlaufen, ab und an kommt jemand rein oder geht wieder, man bekommt aufgrund der Sitzplatzwahl oder der Vortragsweise des Dozenten einfach bestimmte Dinge nicht mit oder begreift sie nicht sofort. Ich saß also später in der Klausur, erinnerte mich an genau die Fetzen aus den Vorlesungen die ich sofort aufgenommen hatte – und an mehr meist nicht (abgesehen von den Sachen aus meinem fotografischen Gedächtnis). Der Rest war ein einziges wuseliges Chaos. Ich verhedderte mich in Fakten und Grafiken – und gab schließlich kampflos auf. Ich konnte einwandfrei ein Prinzip erklären, aber ich konnte es nicht mit den genauen Begriffen beschreiben die im Buch standen.

Am härtesten traf es mich in Mathematik. Ich besitze seit jeher eine sonderbare Zahlenblindheit. Selbst in Romanen überlese ich Zahlen! Worüber andere hinweglächeln, das bereitet mir selbst in Alltagssituationen Schwierigkeiten. Das Rückgeld ausrechnen. Mehrere kleine Beträge addieren. Meinen Kontostand im Plus halten. Meine Lieblingsthemen in Mathe (und es waren die beiden einzigen) waren Vektoren und Integrale. Denn da gab es etwas Sichtbares, etwas “Anfassbares” zum Ausrechnen. Geometrie ging noch so gerade. In den Wahnsinn trieb mich Wahrscheinlichkeitsrechnung. Bis heute weiß ich nicht wie man so etwas Komplexes, Theoretisches beherrschen kann. Im Studium wurden jedenfalls Analysis I und II gefordert sowie alternativ zu letzterem Wahrscheinlichkeitsrechnung.

Natürlich hatte ich in der Schulzeit keinen Mathelehrer gehabt, der mir die Zahlen auf meine Art und Weise näher gebracht hatte. Auch wenn ihr das Fazit schon ahnt, so fand ich es höchstinteressant, dass mir nach unzähligen Stunden Durchrechnen in einer kleinen Gruppe mit Kommilitonen langsam ein Licht aufging. Meine Rechenblätter waren neben den Zahlen voll von Erläuterungen und kleinen Scribbles – ich hatte trotz allen Widerwillens angefangen, mir die Rechenwege (die ja auch stur auswendig gelernt werden müssen) auf meine Weise beizubringen. Und fand Mathe und Physik plötzlich spannend!

Leider sorgte u.a. die begrenzte Zahl der Wiederholmöglichkeit der Klausur dafür, dass ich das Studium aufgab, bevor ich mir die Möglichkeit verbaute, jemals wieder etwas Naturwissenschaftliches zu studieren (wer sich den Quatsch ausgedacht hat gehört echt bestraft!!). Und so verschwand auch das Thema Mathe wieder in den Tiefen meines Gehirns.

Bis heute bereue ich es daher a) dass ich in der Schulzeit meine besondere Art der Wissensaufnahme nicht erkannt habe und folglich b) (zumindest in Mathe&Physik) nicht die Eigenmotivation hatte, mir das Wissen auf eigene Art und Weise beizubringen. Das Verhalten der Lehrer in diesem Bezug sorgte allerdings auch für eine Resignation und Frustation, weil einem zu verstehen gegeben wurde dass man einfach unfähig und dumm war, anstatt die Ursachen für die Schwierigkeiten zu erörtern und daran zu arbeiten. Das hätte ich mir damals gewünscht.

Ich glaube, dass aus den Erfahrungen der Vergangenheit meine heutige Unruhe in Sachen Wissensaufnahme herrührt. Auf meinem schulisch/beruflichen Bildungsweg wurde mir zweimal zu Verstehen gegeben, dass man gute Noten (und damit Anerkennung und eine beruflich erfolgreiche Zukunft) nur durch Wiedergabe von Fakten und zusätzlich mathematischem Wissen erlangt, wobei beides aber möglichst nicht durch Verständnis und Auseinandersetzung erreicht werden soll – für mich bis heute völlig unverständlich. Dieses Defizit versuche ich seitdem durch stetige Wissensaufnahme im privaten Bereich auszugleichen. Nicht, weil ich gute Noten anstrebe. Sondern weil ich es als wichtiger erachte, ein Verständnis von etwas zu haben als es einfach nur wörtlich wiedergeben zu können.

Wenn ich schon damals in der Schule geahnt hätte, dass es andere Wege gibt, an dieses Verständnis zu gelangen, hätte ich nicht nur ein wesentlich besseres Abi gehabt, ich hätte womöglich auch eine gute Grundlage für mein Studium gehabt, weil ich zuvor gewusst hätte dass ich in problematische Bereiche einfach viel mehr Zeit investieren muss. Ich hätte das richtige Lernen nicht erst in der Unizeit lernen müssen, wo man eigentlich für so etwas keine Zeit hat. Ich bin mit dieser Unfähigkeits-Blockade direkt in die Mathe- und Physikvorlesungen gegangen – keine gute Voraussetzung, um voranzukommen.

Ich vertrete die These, dass das Problem der Prokrastination und dem zugehörigen GTD in direktem Zusammenhang dazu steht. Denn wer von vornherein in vielen unterschiedlichen Bereichen ein Grundverständnis vermittelt bekommt, ohne schräg angeschaut zu werden, der kann auch im übrigen Leben die Motivation aufbringen, sich in Neues einzuarbeiten. Die Art, wie man an Wissen herangeht, nämlich vorurteilsfrei, voller Interesse und Entdeckungslust, braucht eine solide Basis, und die sollte in der Kindheit gelegt werden.

Ich hatte das große Glück, privat genau diese Kindheit zu erleben. Ich durfte denken so viel ich wollte, forschen, lesen, lernen und analysieren. Vielleicht fiel es mir deswegen auch umso schwerer, mich im verschulten Unterricht zurechtzufinden. Ich ertappte mich häufig dabei, wie ich im Kopf eine alternative Strategie zu dem Konzept entwickelte, das der Lehrer gerade vorgegeben hatte, und welches mir einfach nicht plausibel erschien. Das ist noch heute in der Berufsschule so, wenn mir auch die “Weisheit” meines Alters und der vergangenen Erfahrungen ermöglichen, das zu akzeptieren – einfach weil ich weiß dass ich es nicht ändern kann. Die Erkenntnis, dass ich anders lerne, hat mir auch dabei geholfen zu verstehen, warum es mit meinem Studium auf keinen Fall geklappt hätte. Ich würde heute anders, besser vorbereitet an ein Studium rangehen, sofern ich mich noch dafür entscheiden sollte.

Bis heute habe ich kein funktionierendes Konzept in Sachen Wissensaufnahme gefunden, das zu mir passt – ich habe immer das Gefühl, nicht genug zu wissen, vor allem in Bereichen wie Mathematik. Ich arbeite viel mit Mindmaps und Grafiken, die schonmal Papier-an-Papier meine Zimmerwände pflastern, lese mir zusätzliches Wissen an, damit das dann folgende sture Auswendiglernen nicht so schwer fällt. Am schnellsten lerne ich nach wie vor by-doing, sei es, Sprachen zu sprechen so viel und so oft es geht, sei es, komplexe Sachverhalte wie z.B. in Jura oder Werksprozesse an vereinfachten Beispielen durchzudiskutieren und -analysieren, am liebsten in der Gruppe, und das Gesagte durch mein Gehör zu speichern. Noch immer lese ich keine Bedienungsanleitungen.

Auch wenn sich das Sammeln von neuen Informationen durch das Internet erheblich vereinfacht hat, schöpfe ich Motivation für Neues aus der Anwendung desselben. Das bleibt einfach besser hängen, als ein Buch darüber zu lesen. (gerade als Mediengestalter sollte man sich diese Regel zu Herzen nehmen)

Die Liste der Themen, die ich noch angehen möchte ist lang, und für jedes muss ich einen eigenen Weg finden, es mir anzueignen. Das ist auch zeitlich ein Problem. Sowieso scheint die Zeit gegen einen zu arbeiten. Der Tag müsste 48 Stunden haben. Man müsste andere, massentaugliche Tagesrythmen entwickeln. Sich den Einstieg erleichtern, indem man Hürden abbaut (Spanisch direkt mit Audiodateien lernen z.B., wenn man es nicht in die VHS schafft, schwierige Romane in einer anderen Sprache lesen) Vielleicht aber auch verschwende ich zuviel Zeit mit den falschen Dingen, ich weiß es nicht.

Ich weiß nur, dass ich diese Zahlenblockade überwinden lernen möchte. Defizite ausgleichen.Effizient lernen und das Gelernte anwenden und vermitteln.

Aber ich fürchte, dass der Tag dafür 72 Stunden haben müsste…

imagepostNovember 22nd, 2009 imagetime19:14

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