Der Alltag hat mich in seinen Klauen. Ich gehe unausgeruht schlafen, wache müde auf, bin unkonzentriert, verwirrt und chaotisch.
Das war (schon immer, aber jetzt ganz besonders) auch der Grund warum ich beschlossen habe nächstes Wochenende nach Holland zu fahren. Ohne wenn und aber. Ohne Diskussionen. Auch, wenn das Geld gerade nicht reicht.
Wenn ich an meine letzten Urlaube zurückdenke, also solche, die es wirklich waren, dann sehe ich, wie schnell man vergisst, dass es auch ohne geht. Ohne Handy. Ohne Luxus. Ohne Komfort. Ohne Laptop und Twitter. Ohne up-to-date zu sein. Aber das vergisst man. Und deshalb glaubt man irgendwann wirklich, dass es nichts anderes mehr gibt. Man fährt in den Urlaub, aber man ist trotzdem immer erreichbar und immer informiert. Und das ist auch das, was dafür sorgt dass wir unausgeruht aus dem Urlaub wiederkommen.
Das Problem ist, dass man heutzutage so sehr dabei sein muss, zum einen, weil man es selbst möchte, weil man eben interessiert ist am Tagesgeschehen, weil neue Diskussionsthemen einem neue Welten eröffnen und neuen Gesprächsstoff unter Freunden bieten (aber bitte nur den neuen Stoff, nicht den abgekauten!), zum anderen, weil Kommunikation heute auf Metaebenen stattfindet, die man regelmäßig absuchen muss, um nicht außen vor zu bleiben, und natürlich auch, weil man sich ständig weiter entwickeln möchte und die Medien, Hobbys, Interessen einem die Möglichlichkeit dazu bieten, seine “Was ich gerne mag”-Liste um den ein oder anderen Punkt zu kürzen oder zu erweitern.
Das läuft dann so:
Feedartikel sichten -> tolle neue Ideen finden -> Pläne schmieden diese umzusetzen -> letztenendes Aufschieben des Plans auf irgendwann wenn man Zeit hat -> das tritt so bald aber nicht ein!
Oder so:
Oh da hat jemand was getwittert -> ich geh direkt mal auf den zugehörigen Link -> Oh, ein toller Artikel über Netzsperren und Datensicherheit -> Artikel-Tab offen lassen, weil man ja gerade auf der Arbeit ist und auch noch was anderes tun muss -> Drei Stunden später alles gemacht (Facebook, StudiVZ, Mails gecheckt, bisschen gearbeitet, Musik gehört, daran erinnert zu essen und es wieder vergessen) nur nicht den Artikel gelesen -> Artikel in die Bookmarks packen -> Artikel verschwindet in den weiter steigenden Bookmarks die man… -> irgendwann am Ende des Jahres, in den Weihnachtsferien, wenn man mal _wirklich_ nichts zu tun hat sichten wird, den Artikel viel zu spät wiederfindet und -> folglich an der höchtsaktuellen politischen Diskussion vorbeigeschrammt ist, weil man die vielleicht richtigen Thesen eines Medienmenschen nicht genug verinnerlicht hat und zudem -> sich selbst nicht aktiv genug an der Diskussion beteiligt hat, weil man einfach überfordert war die Flut der einströmenden Informationen in einer fassbaren Form zu filtern, und das erzeugt -> das Gefühl, nicht up-to-date zu sein was dazu führt dass wir -> versuchen, noch aktiver und noch öfter und schneller und umfassender Teil dieses Informationenstroms zu sein, was dazu führt, dass wir -> Oh, da hat jemand was getwittert, geh ich doch mal….
Und im Urlaub läuft das dann folgendermaßen ab:
Wir sind hier also in ….(Stadtnamen), dann park doch mal da und da, denn Around Me erzählt mir gerade dass 500 Meter weiter ein Starbucks ist -> im Starbucks surft man noch ein bisschen auf den Sightseeing-Seiten des aktuellen Ortes/Gebietes und sucht weitere Aktivitäten-Tipps heraus -> die man dann auch umsetzt, aber irgendwie das Gefühl nicht los wird, dass man ohne W-LAN ziemlich gelangweilt, aufgeschmissen und unterfordert wäre, und sowieso muss man ja beim Frühstück schon -> das Wetterwidget für den Strand und die Wassertemperatur checken und nachher noch den einzigen geöffneten Supermarkt finden -> wo man dann typisch deutsches Abendessen einkauft und später im Appartment/Hotelzimmer/Bungalow o.ä. -> beim gemeinsamen Kochen und einem Glas Wein feststellt, dass man für so eine schöne Gemeinschaftssache weder W-Lan noch Kochtipps noch Internetradio oder die aktuellen Fußballergebnisse braucht und sich fragt: Warum mach ich das nicht mal öfter?
Habt ihr gerade beim Lesen Stress empfunden? Dann habt ihr eine Ahnung, wie der Körper diesen Stress erlebt, wir ihn aber nicht mehr wahrnehmen, weil unser Bewusstsein ständig auf Höchstleistung arbeitet und auf Dauerempfang für alles Umgebende gestellt ist. Und das macht mir Angst.
Ich bin dafür, die Kampagne “Ich geh jetzt mal eine Woche offline und erlebe wieder bewusst die Dinge um mich herum, und akzeptiere, dass ich nicht immer über alles auf dieser Welt informiert sein kann” zu starten. Vielleicht könnte auch mal jemand etwas erfinden (von mir aus auch eine App) das genau diesen Job, nämlich das Datenflut-Verarbeiten für uns übernimmt, zumindest was den Web-Teil angeht. Ich sehe mich nämlich manches Mal nur noch kampflos aufgeben und den Browser/Feedreader samt aller ungelesenen Artikel schließen. Und ich stehe dazu!
Und deshalb fahre ich nächstes Wochenende nach Holland, völlig offline, werde nichts twittern, werde mich nur lokal informieren, lokal einkaufen, alles _in Ruhe_ machen und mich vor allem: erholen. Keine Reiz- oder Geräuschüberflutung, das Meer und ich, und NUR das. Einfach mal runterkommen und das okee finden.
Vielleicht komme ich wirklich entspannter wieder und kann dieses Gefühl auch im Alltag beibehalten?? Ich hoffe darauf.