Sonnensegler.de

AND HER DANCING AND HER LAUGHING.

That was yesterday.August 24th, 2009

Marie, das war eine, die konnte man im Stich lassen. Die würde irgendwo wieder auftauchen am nächsten Tag, würde sagen, Ja, wie, was haste denn gedacht, würde lachen und sich eine Zigarette anzünden.

Marie konnte Sachen, da wurde einem schlecht. Erstmal konnte sie Bilder schießen wie so ein Profi-Fotograf. Aber was damit machen, nein, Hobby, meinte sie immer. Ihre Bilder waren schwarz und weiß und sepiafarben und zeigten Menschen wie dich und mich, im Alltag, mit dem Kochtopf in der Hand, oder in der Bar, oder beim Feiern, so Sachen halt. Was mich an Marie interessierte, war aber mehr so etwas farbenfrohes, buntes. Ich wollte Marie ansehen, den ganzen Tag. Ihre Fotos waren schön. Aber Marie war echt.

Marie war viel unterwegs, deswegen bekam man sie nicht zu fassen. Wenn man sie auf dem Handy anrief hörte man ihren angestrengten Atem, und dass sie grade unterwegs sei, eigentlich war sie das immer, mal suchte sie einen Spot zum Fotografieren, mal war sie grad auf dem Weg zur Arbeit, dann wieder kam sie grad aus der Dusche. Sie war der einzige Mensch der sein Handy mit ins Bad nahm. Manchmal hatte ich das Gefühl, sie wollte gestört werden, sie wollte dass jemand sie erreichte, um ihm dann klarzumachen dass sie unerreichbar war, jetzt gerade.

Eigentlich sah ich Marie immer nur bei etwas anderem. Sie war niemals alleine mit sich.

Einmal traf ich Marie auf einer Party, sie legte dort auf. Irgendwann kam jemand anderes, um sie abzulösen. Ich fing sie ab vor der Mädchentoilette. Sie erkannte mich, lächelte, war wieder in Eile. Marie, sagte ich, jetzt warte doch mal. Sie lächelte, und ihre Augen glitzerten, sie war geschminkt. Ich wusste nicht so recht, was sagen. Also sagte ich, Marie, bist du eigentlich jemals still? Immer bist du unterwegs, ich hab das Gefühl du kommst nie zur Ruhe. Dumpfe Bässe aus dem nebenliegenden Diskoraum. Maries Mundwinkel zogen sich nach unten. Ihre dunklen Locken waren zu einem Zopf gebunden. Ausdruckslos sah sie mich an. In dem Moment flog die Tür auf, der Lärm drang erbarmungslos in meine Ohren. Jemand rief ihren Namen. Und wieder war Marie fort, unterwegs zu etwas Neuem, unerreichbar.

Drei Jahre später. Ich hatte mein fünftes Semester Architektur abgeschlossen und mich mit einem Kommilitonen selbständig gemacht, Webdesign. Es lief ganz gut. Es war Montag, Kundentermin. Ich trat gerade in das Wohnzimmer des Kunden, da sah ich auf der Terrasse einen dunklen Lockenkopf. Ich wusste von einem Gefühl aus der Magengegend dass es Marie war. Ich hatte ihr Gesicht nicht gesehen. Sie drehte sich um, suchte mit den Augen nach den von innen schallenden Geräuschen, blieb an mir hängen. Sie war ein bisschen verschreckt. Ich ging langsam hinüber zur Terrassentür. Sie saß da auf einem Holzstuhl und hielt ein aufgeschlagenes Buch in der Hand. Eine Weile sahen wir uns an, keiner sagte etwas. Sie trug kurze Shorts. Stand ihr gut. Ihr Gesicht sah gut aus, ihre Haut war glatt. Und dann lächelte sie. Ich lächelte auch. So bist du also privat, sagte ich leise. Sie räusperte sich. Hallo, du. Sie klang glücklich.

Wir sahen uns wieder in einer wunderbar stillen Umgebung, auf einer Wiese vor der Universität. Die Sonne schien zwischen den Baumkronen hindurch. Wir breiteten eine Decke aus und setzten uns. Das erste was Marie sagte, war eine Antwort auf meine Frage vor drei Jahren.
Du hattest Recht mit dem was du gesagt hast. Aber so bin ich, ich bin nicht still, ich mache Dinge und lebe und sehe und probiere aus. Aber du hattest Recht. Vielleicht wollte ich unerreichbar sein.

Beim nächsten Treffen zeigte ich ihr den botanischen Garten. Sie hatte nicht einmal ihre Kamera dabei. Also kaufte ich ihr eine aus Plastik. Wir fotografierten uns gegenseitig vor Blumen, und dahinter und mit komischen Grimassen. So mit der Kamera und dir, das ist schön.

Später sagte ich ihr, dass ich wollte dass sie das alles bleibt. Spontan und aufgeweckt. Denn sie könnte etwas sehen was sonst niemand außer ihr sah. Aber erzählen solle sie mir dann davon. Sie verstand und nickte.

Beim dritten Treffen gingen wir essen. Ganz unromantisch beim China-Imbiss. Sie schnitt die Asianudeln durch mit dem Messer und lachte so wunderbar, dass ich nicht anders konnte als mich hinüberzulehnen und sie zu küssen. Erst zog sie verschreckt den Kopf zurück und sah mich an. Aber ihr Kopf kam wieder zurück, ihr schönes Gesicht kam zu meinem, sie machte mir Kribbeln im Bauch, das mich ganz verwirrte. Und küsste ganz leicht zurück. Da wusste ich, dass ich Glück hatte, ganz großes.

Zuerst kaufte ich mir eine Kamera. Und sie zeigte mir wie das geht, Auflegen. Als die Musik seidenglatt durch die Kopfhörer kam, fühlte ich so etwas wie Erleichterung. Die Dinge waren garnicht so anders als ich. Nur hatten wir uns nie aneinander rangetraut. Ich begriff, dass ihre nach außen getragene Hektik eine in ihr selbst liegende, freudige Ruhe war. Und dass sie auch ein Buch lesen konnte. Draußen, still mit sich. Sie schaffte einen Ausgleich. Ich hatte nie gewusst wie das funktioniert.

An einem Kinodienstag saßen wir im Kinosaal und sahen einen Comedyfilm. Und wieder lachte sie, lachte sie Tränen, wunderschön. Mein Daumen dürfte sie wegwischen. Oh Gott, dachte ich, ich will sie nie wieder verlieren!

Als ich mein Studium beendete, hatte ich ganze drei Mal von Marie gehört. Sie hatte mir ellenlange E-Mails geschrieben von den Orten wo sie war, auf der ganzen Welt. Dazwischen schickte sie mir sepiafarbene Fotos ohne Namen. Ich klebte sie an die Korkwand neben meine eigenen.
Ich vermisste sie schrecklich. Aber ich wusste, sie würde eines Tages vor meiner Türe stehen, würde mich ganz fest umarmen und bleiben. Für länger.

Bis dahin zählte ich die Tage.

imagepostAugust 24th, 2009 imagetime01:41

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