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AND HER DANCING AND HER LAUGHING.

Filmkritiken zu “Im Winter ein Jahr” in der KritikJanuary 22nd, 2009

Ich habe in der Berliner Morgenpost folgende Rezension zu dem Film “Im Winter ein Jahr” gefunden. Und diese war nicht die einzige, die den Film zwar für seine außergewöhnlichen Darsteller und ihre Performance lobt, der Geschichte selber aber eine Abfuhr erteilt.

Der Rezensent in der Berliner Morgenpost schreibt zum Ende, dass die “verkorkste Geschichte zwischen Lilli und einem anderen Künstler” absolut übertrieben und unglaubwürdig daher käme, genauso wie die nicht akzeptierte Homosexualität des Malers. Der Film finde keine rechte Lösung zu all seinen Problemen.

Ich würde dazu gerne meinen eigenen Kommentar abgeben, denn dazu ist das Blog da.

Die “Affäre” zwischen Lilli und Aldo beginnt in einem Lokal, in dem Lilli mit ein paar Kommilitonen Billard spielt. Als sie Aldo’s Blick gefangen hat, beginnt sie mit ihm zu spielen. Schließlich macht sie mitten im Lokal einen Handstand an die Wand, um alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Und es funktioniert, Aldo ist beeindruckt und will Lilli jetzt erst recht kennenlernen.

Diese interessante Szene könnte man noch als übliches Verhalten zwischen Frauen und Männer verstehen, die voneinander fasziniert sind und um jeden Preis etwas über den anderen erfahren wollen. Doch bereits in der Szene im Café, wo sich die beiden treffen, wird klar, dass der Charakter Lilli einen Hang dazu hat, Neues und interessant Scheinendes an sich zu reißen, um es bei näherer Betrachtung wieder von sich zu stoßen und mit künstlicher Oberflächlichkeit die im Anfangsstadium befindliche Faszination in Ablehnung zu verwandeln. Sie möchte Bestätigung, lehnt tieferes Vertrauen oder Verständnis aber ab.

Die vom Rezensenten angesprochene “verkorkste Beziehung” gestaltet sich dermaßen, dass Lilli ihre sonstige Schauspielerfassade ablegt und in Aldo eine Art positives Selbst hineinprojeziert, das sie davon abhält, in Trübsinnigkeit anlässlich des Tods ihres Bruders zu verfallen. Aber aus Projektion wird beängstigende Anhänglichkeit, Lilli wandert auf einem schmalen Grat zwischen Euphorie und Depression, Hochmut wenn Aldo sie auf seine eigene Kunstausstellung mitnimmt oder sie mit seiner ebenfalls besitzergreifenden Art für sich haben will, Kontrollverlust und tiefe Verzweiflung wenn er ihr nicht alles gibt was sie will, sie zurückweist, ihr zeigt dass sie Grenzen überschreitet.

Ich betrachte diese Beziehung als nicht so sehr realitätsfremd. Lilli ist ein zerbrechlicher Charakter, der Stärken und Schwächen im gleichen Maß intensiv auslebt und dazwischen hin- und herschaukelt. Die Bestätigung die sie im Elternhaus immer vermisst hat sucht sie nun in anderen Männern und formt sie nach ihrem Bild, doch wenn diese mit ihrer Art nicht mehr umgehen wissen weisen sie sie ab. Im Grunde sucht Lilli nach jemandem, der sie trägt in ihrem wirren emotionalen Chaos und sie zugleich in die Schranken weist, wie es Eltern mit einem kleinen, noch unwissenden Kind tun. Sie kennt ihre Grenzen und will sie stets erreichen und über sie hinausgehen, in der Hoffnung, dass jemand sie bemerkt. Und genau dieser Eindruck entsteht zwischen den Zeilen, dass Lilli begabt und intelligent ist, ein Leben führt das sich viele wünschen, damit jedoch nicht immer umzugehen weiß, da ihr von Kindheit an die emotionale Stabilität fehlt.

Daher finde ich die Hysterie, die Lilli an den Tag legt als es zur Trennung kommt, und die Depression, in die sie nach Aldos Abfuhr fällt, völlig verständlich. Natürlich wurden hier zwei Persönlichkeiten gewählt, die es lieben, in Extremen zu leben, der Künstler genauso wie die Tanzschülerin, und wenn diese beiden aufeinandertreffen gibt es ein Intermezzo an Gefühlen, völlig klar dass es dort keine “Pauschallösung” geben kann. Aber in der Geschichte geht es ja auch nicht darum, alle offenen Konflikte zu lösen.

Die Homosexualität, die Max nicht wahrhaben will, ist ein Punkt, dem ich zum Teil zustimmen kann. Mir erschien sie während des Films nur oberflächlich existent, in Wahrheit hatte ich eher das Gefühl dass seine introvertierte, sonderbare Art zu Leben als Homosexualität ausgelegt wird, was ich etwas zu gewagt finde. Man erfährt bis zum Ende nicht wirklich, ob Max sich nun zu Männern oder Frauen hingezogen fühlt, aber es ist deutlich dass er sich, wie die meisten, zu Lilli hingezogen fühlt, sie mit seiner fast schon weisen Art aber zu behandeln weiß und sie auf seine ruhige, verständliche Art, einem Vater gleich, auf den Boden der Tatsachen zurück holt. Daher ist es für den Plot auch völlig unwichtig, ob er schwul ist oder nicht, denn dafür wird seine Vorgeschichte zu wenig vertieft, nur angedeutet.

Trotz Max’ Fähigkeit, Lilli zu fassen, kann er dem geforderten Gemälde von ihr und ihrem Bruder keine Tiefe verleihen. Er erkennt schnell, dass ihm mehr Puzzleteile fehlen als er geglaubt hat und dass ihn Lilli’s Situation auch animiert, sein eigenes Leben zu hinterfragen, zu fragen, ob man alles so richtig gemacht hat. Der Wunsch der Mutter nach einem Gegenstand für die Erinnerung an ihren Sohn wird nicht mehr ganz so abwegig, wenn man erfährt, dass sie in all ihrer Ignoranz gegenüber den Gefühlen ihres Sohnes die Basis für den Selbstmord geschaffen hat und sich damit indirekt verantwortlich fühlt. Vielleicht ist das Gemälde ein kläglicher Versuch, etwas wieder gut zu machen, das nun für immer auf ihr lasten wird, nämlich die nie geschenkte, volle Aufmerksamkeit. Zugleich will die Mutter aber auch an dem perfekten Bild des Sohnes festhalten, ihn auf Leinwand in seiner Makellosigkeit präsentieren, ein seltsame Art zu trauern, die es eher verhindert, Licht in das Dunkel zu bringen und die Gründe für den Selbstmord zu erörtern.

Beim Lesen der oben genannten Rezension und auch vielen anderen habe ich immer den Eindruck gewonnen, dass der oder die Rezensent/in bei dem Familiendrama “Im Winter ein Jahr” ein typisches, oscarverdächtiges Hollywood-Drama erwartet hat, eines mit einer klaren und nachvollziehbaren Geschichte, wie Caroline Link’s voriger Film “Nirgendwo in Afrika”, eines mit einschichtigen Charakteren und einem beruhigenden, dramatischen Abschluss.

Daher habe ich auch das Gefühl, dass manche Rezensenten mit einer solchen Story wie in “Im Winter ein Jahr” etwas überfordert sind. Ich persönlich kann die innere Zerrissenheit Lilli’s bezüglich der schwierigen Kindheit in einer Familie, die nur nach Leistung strebt und darüber hinaus die Seele vergisst, dem plötzlichen Tod des über alles geliebten Bruders, der mit seiner Fröhlichkeit die Misere all die Jahre erträglich machte und der Traumkarriere als Tänzerin, die eine hart erlernte Disziplin erfordert, eine, die Lilli oftmals nur mit Mühe aufbringen kann, völlig nachvollziehen. Die seelischen Wunden, die sie schon lange mit sich herum trägt, können auch bei allem Kämpfen von nichts und niemandem geheilt, die tiefen Gräben nicht gefüllt werden, und das lässt die Beziehung zu Aldo eskalieren, das sorgt für Lilli’s Stimmungsschwankungen und ihren Hang zur Dramatik. Ich würde an ihrer Stelle genauso verzweifeln, wenn ich Tag für Tag erfahren muss, dass mir nichts und niemand meine Last abnehmen kann und ich darunter zu zerbrechen drohe.

“Im Winter ein Jahr” ist in meinen Augen der Versuch, eine ganz alltägliche Familiensituation, wie sie zu hunderten, tausenden in Deutschland oder einem anderen Land vorkommen kann, in all ihren Facetten und aus der Sicht von allen Beteiligten darzustellen.
Dabei das Thema nicht aus den Augen zu verlieren gestaltet sich angesichts der Menge der Probleme als schwierig, aber Caroline Link bewältigt diese Aufgabe mit Bravour. Um heillose Verwirrung zu vermeiden liegt der Fokus auf Lilli und dem Tod ihres Bruders, der das Treffen zwischen Lilli und Max für das von der Mutter gewünschte Gemälde nach sich zieht. Dass man in einem etwa zweistündigen Film nicht alle Seiten jedes Charakters beleuchten kann ist verständlich. Lilli’s Persönlichkeit ist so vielschichtig, und dennoch nimmt man sie abseits ihrer Probleme als eine Person wahr, die, wenn man alles was in ihr vorgeht reduziert, einfach nur ein Mensch ist, eine junge Frau, die ihren Weg sucht, inmitten dieser Strömung sie selbst zu bleiben und an den Gegebenheiten ihres Lebens nicht zu scheitern, nicht unterzugehen.

Mit Karoline Herfurth hat Frau Link eine Darstellerin gefunden, die in der Lage ist, genau diese junge Frau und ihre Gefühlswelt überzeugend und glaubwürdig an den Zuschauer zu vermitteln, der vielleicht, wie ich es bei einigen Rezensenten annehmen könnte, in seinem bisherigen Leben das unglaubliche Glück hatte, eine solche Sturmflut an Emotionen und Problemen nie erfahren zu müssen, und der nur anhand dieser aufweckenden, vielschichtig-schizophrenen Bilder die Vorstellung erlangen kann, wie es ist, in Lilli’s oder der Haut einer der Beteiligten zu stecken.

Ein Zuschauer, der zum Ende des Films seine Meinung revidiert haben wird, es gebe auf alle Fragen im Leben eine Antwort und auf alle menschengemachten Probleme Lösungen. Denn diese Annahme wäre tatsächlich ein Hollywood-Klischee, das den Zuschauer zwar zufrieden aus dem Kinosaal gehen lässt, es ihm aber auch keinesfalls ermöglicht, so etwas wie Verständnis für die schwierige Lebenslage anderer Menschen aufzubringen, wo es tief an die Substanz geht und Geschehnisse oder Gefühlszustände nicht immer rational zu erklären sind. Caroline Link lässt den Zuschauer aufgewühlt aber nicht verstimmt aus dem Kinosaal gehen, denn zum Ende des Films hin wird deutlich, dass jeder Sturmflut auch eine langsam einkehrende Ruhe folgt, in der man Scherben aufsammeln und Fazit ziehen kann und sich, wenn man aus seinen Fehlern gelernt hat, so wie Lilli’s Eltern, dafür entscheiden, Dinge ändern zu wollen. Ob dies tatsächlich geschieht bleibt offen, und das ist auch die Intention, dass am Ende eine Hoffnung bleibt, die zerbrechlich ist, aber auf der sich etwas aufbauen lässt.

Caroline Link’s Film soll keine Antworten oder Pauschallösungen geben, sondern eine auch im realen Leben vorkommende Situation aufzeigen, die den Mensch an seine Grenzen treibt, er soll zeigen wie der Mensch darauf reagiert, soll seine Erfolge und sein Scheitern dokumentieren. Wenn dem Film etwas fehlt, so ist es ein zuckersüßes Happy-End, auf dem man sich ausruhen kann. Ich hoffe, dass es da draußen mehr intelligente Kinogänger gibt, die wie ich im Kino zwar Ablenkung, aber keine Einladung zur Passivität suchen.

Ich habe aus dieser Erfahrung mit Kinorezensionen gelernt, dass nicht nur jeder Mensch einen eigenen Filmgeschmack hat, sondern auch eine persönliche Vorgeschichte und eine gewisse Neigung zu Filmen gleichen Typs, auch wenn es um Objektivität gehen sollte. Die übrigen Kinobesucher im ausverkauften Saal schienen jedenfalls genauso froh darüber, sich nicht von einer schlechten Rezension abhalten gelassen zu haben.

Ich glaube, dass sich bestimmte Kinogänger ihre Filme genau aussuchen, und wer dazu gezwungen wird, einen ihm artenfremden Film anzuschauen, der muss ja mit einer gewissen Skepsis an die Sache rangehen. Daher finde ich es besonders schade, dass so viele Rezensenten die wahre Geschichte hinter dem Plot anscheinend einfach nicht verstanden haben. Vielleicht ist es aber auch üblich, in einer Zeitungs-Rezension tatsächlich Kritik zu üben, und wenn sie auch nur im Ansatz zu finden ist. Ich werde jedenfalls keine Kinofilm-Kritiken mehr lesen und mir in Zukunft weiterhin mein eigenes, mitdenkendes Bild machen.

imagepostJanuary 22nd, 2009 imagetime00:29

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