Kiel hat mir ein bisschen den Boden unter den Füßen weggezogen.
Aber um nicht gleich mit dem Negativen zu beginnen: es war schön. Nicht wirklich erholsam aber eine gute Abwechslung. Wir haben viel und gut gegessen, gut gefeiert, hatten viel Spaß und haben viel gesehen. Wir waren am Wasser, ich habe meine Turnschuhe durch den Schlick gewatet um dann festzustellen, dass ich ohne Gummistiefel wohl doch nicht bis zum Ende der Schlickflächen und Priele und damit direkt zum Wasser komme *lach*. Unmengen an Fotos habe ich gemacht, mit der Ixus.
Mein Bruder, zwei Freunde und ich haben in der Kaserne geschlafen, so wie letztes Mal und das davor, hatten diesmal sogar ein eigenes Bad mit Dusche im Zimmer.
Und leiderleider bin ich ein paar Mal in Tränen ausgebrochen. Ich kann das nervlich mit den Emotionen nicht gut. Wenn ich jetzt gerade diesen Eintrag schreibe muss ich mich zwingen, gedanklich an der Oberfläche zu bleiben, objektiv zu berichten wie es war, mehr nicht. Es war schrecklich, ehrlich gesagt. Es waren diesmal nicht die anderen, die Menschen haben mir nichts ausgemacht, der Lärm, das alles war in Ordnung. Was nicht in Ordnung war war diese Stadt. Denn sie lauerte auf mich, zeigte mir mehr und mehr wohlbekannte Ecken, Orte an denen ich 2 Jahre lang tagein, tagaus umhergeschritten war, erst nur im Versuch, dann mit Mut, schließlich mit Begeisterung. Man lernt diese Stadt lieben. Jede andere könnte es sein, Kiel ist es geworden.
Ich weiß nicht genau, was es war, dass mich so umgestoßen hat, ob es die Häuserecken, die Geschäfte und Restaurants waren, an denen ich jedesmal, wie um mich selbst zu versichern, rief: "Seht ihr das, da gibt es das, und da war ich im Sommer und da haben wir das und das gemacht…"
Je mehr ich diese Sätze (unbewusst) sagte, desto schlimmer wurde es. Mehr und mehr wurde mir bewusst, dass dieses Leben, dass ich dort gelebt habe, zwar real, aber schwindend war. Ich habe nur noch zu einer Person Kontakt, da die übrigen guten Freunde ebenfalls wegzogen, und immer wieder der Gedanke an den wahren Grund: Ich war krank. Ich konnte das alles garnicht alleine schaffen! Ich denke, es war die Mischung aus nordischer Melancholie, die dort sofort aufkommt, dem Fluchtgedanken (Flucht von Zuhause), dem Wunsch nach Ruhe (dort hatte ich sie wahrlich), der Geborgenheit in einer so vertrauten Umgebung, dem Stress der nicht enden wollenden Tagesplanung durch die und mit den anderen – und das Meer. Das blaue, harmlose, in Windstärke 6 tobende Meer, der unter die Klamotten kriechende Wind der dich ganz und gar willenlos macht und du dich auf eine Tasse heißen Tee und ein Bett freust.
Ich konnte das alles garnicht lange aushalten.
Wahrhaben mag ich es trotzdem nicht. Ich liebe die Biologie. Ich liebe die Forschung. Ich habe akzeptiert dass sie momentan nachrangig ist, aber ich wehre mich gegen ein einseitiges Berufsleben, wie es die Gesellschaft vorschreibt, ich weiß wie hart es wirklich ist, aber das Meer hat mich gefesselt, und erst wenn ich bei ihm sein kann kehrt Ruhe in mir ein.
Vielleicht war dieses Wochenende ja auch nur eine Momentaufnahme von dem, wie es hätte sein können. Vielleicht hänge ich etwas ganz und garnicht perfekten nach, weil ich momentan hier auch nicht richtig glücklich bin, obwohl, nein, glücklich bin ich, aber zufrieden nicht.
Seit dem Unfall passiert etwas mit mir. Ich habe plötzlich so furchtbare Angst vor Dingen, die früher alltäglich waren. Ich befinde mich in einem Dauerzustand der Gestresstheit, ich fühle das in meinem Bauch, und es geht nicht weg. Eben stieg ich aus dem Bus, (ich war noch mit einer Menge Freunden und Bekannten in der Stadt was trinken und essen und hab mich schon jetzt auf den Weg gemacht, weil ich noch etwas Ruhe brauche) und da dachte ich: Es muss sich was ändern. Jetzt sofort. Da muss Ruhe in mich rein. Und wenn eine neue Wohnung das kann, dann muss sie her. Und ich glaube, dass das der Schlüssel ist. Ich brauche keine Nähe. Ich brauche Abstand zu allem. Allem.
Es ist Montanacht, ich höre Café Abstrait Vol.5, die mir die Rückfahrt von Kiel hierher gerettet hat, die einzige CD die mich völlig beruhigt, auf der Autofahrt konnte ich sogar in diesen Schwebezustand kommen, den ich im Autogenen Training gelernt habe. Fand ich toll. Hat mich sehr beruhigt. Und so höre ich diese schöne CD eben ein paar Mal am Tag und komme runter. Eigentlich geht es mir jetzt wieder gut. Es ist besser hier.
Heute Mittag ist mein MacBook Pro gekommen. Es ist wunderschön. Ich muss es noch fertig einrichten, und morgen starte ich dann durch. Ich ahne, dass ich unbewusst etwas umwälze, der Laptop, eine neue Wohnung, vielleicht zum Friseur, ein neuer Stil, ein neues Webdesign, ich muss etwas ändern, soviel ist klar. Ich dachte, wenn ich so weitermache, wird alles so seicht bleiben, so an der Kante zwischen Schlafen und Springen, aber seit dem Unfall denke ich anders. Ich kann wirklich nicht sagen, was es ist. Aber es will Veränderung.
Ich werde über die Feiertage ein Redesign erarbeiten. Werde zum Friseur gehen. Nach der Wohnung fahnden wie ein Kommissar. Aber alles in Ruhe, mit Café Abstrait.
Aber immer noch weiß ich nicht, wie ich sein soll. Ich will rausgehen und feiern, und das geht auch, aber wenn ich zurückkehre ist da dieses Nichts. Ich muss das Nichts wegschaffen.
Morgen werde ich, wenn ich es schaffe, zu dieser Aikido-Schule fahren. Wir holen mittags den Baum, dann lass ich mich (heimtückisch, nicht wahr!) dort absetzen. Dann gibt es kein Zurück. Es ist doch immer das Anfangen, verdammter Mist!
Und weil es unbedingt raus muss: Es gibt da jemanden, nach dem ich mich sehne. Aber sagen werde ich es nicht. Auch ihm nicht. Erst mal kommt alles andere.
Fotos von Kiel findet ihr bei Flickr.