An meine Zeit in Kiel zu denken macht mich manchmal ganz schön traurig. Die ganzen Fachbegriffe verschwinden mehr und mehr aus meinem Gedächtnis, meine ehemaligen Kommilitonen auf Fotos im StudiVZ glücklich in der Natur und am (nein: im) Wasser herumwandeln zu sehen bringt Melancholie über eine von mir erträumte Zukunft, die an so blöden Sachen wie fehlende Mathekenntnisse und Krankheit gescheitert ist. Sowas vergisst man nur sehr langsam. Am Vorweihnachtswochenende gehts in den Norden, dem schwarz-grünen Ostseewasser “Hallo” sagen und für 2 1/2 Tage so tun als wäre alles wie früher, feiern, shoppen, essen, mit Freunden gut drauf sein, an der Förde stehen, Fotos schießen und denken: ach wie war das, vor einem Jahr? Vor allem wird viel gefroren werden, da wird eisiger Wind auf meinen Wangen sein und meine Nase wird laufen wie ein Marathonläufer. Aber gut wird das sein.
Die Trauer über Kiel habe ich sehr schnell verwunden letztes Jahr, und das was hier ab und an auftaucht (zum Beispiel beim Sichten des Bildbandes von National Geographic) ist einfach menschliche Enttäuschung. Vielleicht ist es ganz gut dass meine Studienunterlagen seit dem Umzug in meine erste Heimatstadt im Wintergarten ruhen, zumal ich hier garkeinen Platz hätte dafür. Trotzdem werde ich immer die sein, die wild durch den Wald läuft, die alles anfasst und aufhebt, die versucht, Beziehungen zwischen Menschen und der Natur zu begreifen (und keine bedrohten Fischarten im Supermarkt kauft), die, die stundenlang am Wasser steht und in die Ferne starrt und von einem Einsiedlerleben in einem kanadischen Leuchtturm träumt, und nicht merkt wenn sie schon ganz unterkühlt ist.
Da ist es mir doch lieber hier zu sein, wo es warm ist, wo ich Webseiten gestalte und kreativ bin, und dabei ganz und gar unmelancholisch, denn die kreative Melancholie ist irgendwann verloren gegangen und auch das ist gut so. Webdesign und alles was damit zu tun hat ist für mich Profession geworden, es ist das was ich bin und kann, vielleicht noch nicht alles aber ich lerne schnell wenn ich will, und wenn ich darüber nachdenke, hätte ich diese Meeresbiologin sein können, aber ich bin es nun mal nicht, man kann ja nicht alles sein und haben.
Zu kalten Füßen höre ich Balearic Islands Sundown Grooves und kuriere meine unschöne Erkältung aus und freue mich auf: meine Fotos, die ich hundertpro auch krank noch in der Stadt holen gehen werde gleich, da sie seit Mittwoch fertig sind; und auf meine neue Digicam die ich Ende der Woche bestellen will; und auf meine neue Arbeit, wo ich endlich mal ernst genommen werde.
In Sachen Wohnung gibt es nichts neues, habe mich vorerst dagegen entschieden, ich möchte nicht mehr so viele Kompromisse eingehen und warte lieber bis Januar, bevor ich mich weiter umsehe. Ich mag mein Zimmer. Es ist meine Zufluchtsstätte. Aber zuhause wohnen geht garnicht mehr. Ihr versteht sicher warum. Die Sache mit dem Ernstgenommenwerden möchte ich nämlich auch hier zurückhaben.
Gesehen habe ich am Mittwoch “Im Winter ein Jahr”, ein filmpreisverdächtiges, wunderbares Prortrait über eine Familie, nach außen hin perfekt, doch innen drin zerbrochen und verlorengegangen. Der 19-jährige Sohn hat sich vor fast einem Jahr das Leben genommen, aber die Mutter behauptet noch immer, es sei ein “Jagdunfall” gewesen. Karoline Herfurth, eine meiner Lieblingsschauspielerinnen (bekannt aus “Eine andere Liga”) spielt die begabte Tanzschülerin Lilli, die den Missstand in der Familie längst erkannt hat, mit ausufernden Männerbeziehungen aber versucht, ihrer verwirrenden Gefühle und ihrer Trauer Herr zu werden. Dass sie bei ihren Eltern, einer Leiterin einer Modefiliale und einem Bioniker, der gerade ein Buch herausgebracht hat, keinen Halt findet, merkt man an ihrer permanenten Verlustangst. Und dann ist da Max, der ein Portrait von ihr und ihrem toten Bruder malen soll, damit es die Mutter an die Wand hängen kann. Bei ihm findet sie eine Art Vertrauensperson, und er malt sie wie er sie sieht, kriecht langsam in ihr Inneres und erkennt, was sie zu verbergen versucht….
Ein absoluter Ins-Kino-geh-Tipp! Der Score von Niki Reiser reißt einen mit hinein in dieses Drama, begleitet einen während des Films, gibt Einsicht in Lilli’s Gefühlsleben und trägt einen sanft wieder hinaus in die reale Welt zurück. Hörbar hier: ARD Mediathek und hier: Musicload
Zum Abschluss des Films tanzt Lilli eine selbsterfundene, wütend-befreiende Choreografie zu dem Track “Signal to noise” von Peter Gabriel (aus dem Album “Up”), bei dem einem der Atem stehenbleibt vor Faszination und Emotion, erinnert die Musik doch sehr an eine Szene aus “Nirgendwo in Afrika”, einem weiteren Meisterwerk von Caroline Link…