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AND HER DANCING AND HER LAUGHING.

Rewind: Konsumkind.November 29th, 2007

Als ich in der zehnten Klasse war, habe ich in mein Tagebuch über meinen damaligen besten Freund geschrieben: “Er ist der beste Zuhörer. Und der beste Mitreder. Mit meinen Klassenkameradinnen kann ich über’s Wetter lästern, oder über lachhafte Jungs in der Bahn, oder über die Englischklausur. Wenn ich tiefergehendes anspreche, müssen sie plötzlich alle wohin.”

Es war ja irgendwie schon immer so: Freundschaft verspricht nichts. Sie ist eher so ein guter Tausch, den man mal antesten möchte. Ich biete dir eine Palette neuer Hobbys und die und die Bands die ich mag, und dafür möchte ich von dir den neusten Klatsch hören oder mit dir meine Zimmereinrichtung diskutieren. In Clubs feiern gehen, ungezwungen. Du bist mein Freund, wenn die Wellenlänge stimmt. Weil alles für sich behalten doch unglücklich macht.

Irgendwie begriff ich dann auch schnell, wo bei dieser Abmachung der Haken war: das Haltbarkeitsdatum lief schneller ab als mir lieb war. Die Themen waren ausgelutscht, die Abende nach dem ewigen Club-Filtern die gleichen, die kleine Luftblase die sich Welt nannte ließ sich einfach nicht aufpusten. Und irgendwann zerplatzte sie.

Bald danach begann ich die Freundschaft mit dem Konsum. Was mir diese Freunde-Sache nicht geben konnte, suchte ich in allem, das neu, bunt und käuflich war. Begonnen bei der Einrichtung. Ich kaufte mir asiatische Lichterketten und stylische Poster. Riss Artikel aus modischen Zeitschriften und klebte sie an die Wand, weil das neu war. Ich räumte alle drei Monate um, um dann anderthalb Wochen Gefallen daran und den Rest der Zeit neue Ideen zum Umräumen zu finden. Ich versuchte es mit Essen, Backen, Kochen. Das hielt eine gute Weile. Doch eines Tages ertappte ich mich dabei, wie ich eine Einladung ins Fast-Food-Restaurant mit einem Kopfschütteln ablehnte.

Was war mit mir geschehen?

Ich ignorierte dieses unscheinbare Zeichen und machte weiter: mit Fernsehen. Das Problem wurde schnell deutlich: unser Fernsehprogramm ist von vorgestern. Wenn andere noch dem Mädchenabend mit Rotwein und Grey’s Anatomy entgegenfiebern kann ich dank Stream im Internet schon die nächste Staffel komplett rezitieren. Da ist kein Zittern bei mir am Vorabend. Selbst Dr. House, der mich ganz schön gefesselt hatte, blieb nicht. Es kamen viele, viele Tage, an denen ich mich zwingen wollte Fernsehn zu gucken, wie ein normaler Mensch eben. Es klappte nicht. Ich suchte mir besonders Anspruchsvolles aus dem TV Guide heraus und wollte so Abhilfe schaffen: Fehlanzeige. Ich blickte irgendwann vom Monitor auf die Uhr und dachte (wie nun jeden Abend): Mhm, jetzt hast du ‘…’ verpasst. Und drehte mich schulterzuckend zum Monitor zurück. Falls ich doch einen Funken Rastlosigkeit verspüren würde, bräuchte ich ja nur den Inhalt im Internet aufrufen.

Seitdem sind meine liebsten Freunde meine Lomo-Kamera und meine Bücher. Doch selbst ein Haufen Bücher in vier Wochen Ausleihzeit sind nur geborgte Lückenfüller. Wann ich das letzte Mal so richtig glücklich war, ausgelassen, ausgefüllt? Als ich ins Wohnzimmer kam, das wunderschöne Abendrot am Himmel sah, die Kamera schnappte und ins Feld fuhr. Dort tobte ich mich aus. Hinter mir und vor mir kamen Leute mit dem Einkauf aus dem Aldi oder vom Feldweg: ich fotografierte. Und fuhr glücklich durch die Kälte nach Hause zurück.

Was mich glücklich macht ist das neue, das immer wieder neu erfindbare, das, das zum Nachdenken anregt und unendlich ist. Fortwährender Input ohne Verfallsdatum. Ständiger gleichmäßiger Serotoninschub. Wissen, da fordert dich was!

Dazwischen habe ich manchmal Tage, an denen ich Zeitschriften kaufe und lese und sie doch wieder weglege, weil sie mir nichts neues erzählen. Mir den ersten Burger seit Monaten schmecken lasse und mir danach zuhause ein Brot schmiere. Mich am x-ten Webdesign versuche, doch es ist nicht genug. Dann lese ich ein englisches Buch und noch eins und dann die Nächte durch und bin glücklich. Höre so wie jetzt Flunk, weil ich von denen irgendwie nie genug habe. John Mayer ist mein liebster Künstler, aber von dem habe ich öfters genug. Flunk wurden niemals von meinem Kopf in die Kategorie “liebst” eingeordnet.

Wenn diese Momente kommen, wünsche ich mir den damaligen besten Freund als Gesprächspartner zurück. Ertappe ich mich bei der Frage, ob das ewig so bleiben wird.

Und wann denn mal endlich einer was richtig gutes, neues erfindet, das mich so glücklich macht wie das Lesen eines Buches.

Es scheint, als wäre der neumoderne Input so flüchtig wie erhitzter Alkohol. Mit selbigem in kalt habe ich es übrigens auch probiert. Seitdem trinke ich unglaublich gerne koffeinfreien White Mocca. Wenn ich den weichen, süßen Schaum durch meine Lippen ziehe, kommt das dem Bücherglücklichsein sehr nahe, und dass andere sagen das sei ja garkein richtiger Kaffee: – mir doch egal!

Flunk – Kebap Shop 3am —
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note: das Albumcover von “For Sleepyheads Only” ist übrigens ein Lomofoto!

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