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AND HER DANCING AND HER LAUGHING.

Druckausgleich.March 14th, 2007

Das Ego des Menschen gehört in die Balance. Ansonsten passieren schreckliche, bereubare Dinge. Die Balance findet man auf verschiedenen Wegen: der eine geht aus sich raus, um die überflüssig angestaute schlechte Luft in seinem Inneren ins Freie zu befördern. Bei dem anderen wiederum wird dieses Sammelsurium von Schadstoffen nach innen geschickt, damit es langsam über den Tag verteilt durch die Poren seines Körpers verpuffen kann. Man kann es mit Yoga versuchen – und danach jemanden verprügeln. Oder man kann Frustessen. Ich beglückwünsche den, der ein “normales” Leben führt und diese Art von Druckausgleich nicht braucht. Dieser Mensch ist dermaßen harmonisiert, dass sich in seiner Anwesenheit streitende Menschen versöhnen, defekte Kaffeemaschinen wieder fließen und schreiende Kinder ein Honigkuchenlächeln aufsetzen.

Ja, klar.

Der Punkt, dass man sich schon nicht selbst anschreien kann, wenn man trotz Nahrungsmittelunverträglichkeiten etwas Verbotenes – und das auch noch mit großem Vergnügen – gegessen hat hat zur Folge, dass man die Fehler bei anderen sucht. Und fündig wird. Es ist unwichtig, ob man Recht hat. Das Gefühl, das Innere Ungleichgewicht durch solche Taten beseitigt zu haben oder es wenigstens in die Richtung der Balance geschickt zu haben, befriedigt ungemein. Das Zauberwort heißt Kompensierung. Warum über den schlecht eingeparkten Wagen ärgern, wenn man im Supermarkt dem blöden Typen das letzte Magnum Mandel wegschnappen kann (und insgeheim freuen). Warum über das lange schon überzogene Konto jammern, wenn man am Abend einfach noch 20 Euro abheben und damit schick Essen gehen kann? Warum seine eigenen Probleme in den Vordergrund stellen, wenn die der anderen viel schlimmere Nachwirkungen hinterlassen und der Schreck tief sitzt?

Kompensierung.

Kompensierung hat oft etwas mit Schadenfreude zu tun. Das Leid des Selbst kann so mühelos auf die anderen projeziert werden. Besonders gelingt dies bei Fremden, die in unserer Weltanschauung genau diesem Bild des “normalen” Leben führenden, Freude und Harmonie verbreitenden Menschen entsprechen. Jemand, der meine Sorgen nicht hat, wird sich über ein bisschen Konfrontation mit dem Selbst nicht aufregen. Wie Wasserdampf wird alles Negative durch ihn hindurch strömen und in der Kürze der Zeit im Universum verpuffen. Dieser Jemand kocht sich dann seelenruhig einen Kaffee und fragt, ob man auch einen möchte. Äh, ja, möchte man.

Harmoniemenschen zu treffen ist eines der schlimmsten Übel für Kompensierungswesen wie uns. Man beginnt, sich zu fragen, wie sie das nur tun. Wie sie sich nicht über den Stau aufregen. Sich freundlich mit der Dame an der Hotline des Stromanbieters über die überhöhten Strompreise unterhalten. Dem jungen Kerl im Supermarkt nicht nur das letzte Magnum Mandel anbieten, sondern ihm auch an der Kasse den Vortritt lassen und sich im Nachhinein angeregt mit ihm über das gleich beginnende Fußballderby unterhalten. Was sind das nur für Menschen? Sind sie überhaupt Teil dieser Zivilisation? Haben sie einen blassen Schimmer von dem, was um sie herum abgeht? Was für Probleme ein nicht normaler, problembehafteter Mensch hat? Stellen sie jemals in ihrem Leben fest, dass Ihnen nach Ladenschluss die Grillkohle für den Partyabend fehlt? Und packen sie die Würstchen dann einfach in den Backofengrill, oder improvisieren sie so wie wir, die sämtliche Reisigzweige und alles was brennbar ist auf der Wiese zentrieren, um es dann abzufackeln?

Haben diese Menschen eigentlich überhaupt ein Leben?

Ich weiß es nicht. Ich habe noch keinen dieser Harmoniefreaks dazu befragt. An Tagen wie diesen und an vielen anderen möchte man gut und gerne fünfundfünfzig seiner Fünfhundertproblemliste auf jemanden wie ihn abwälzen. Aber am nächsten Morgen wird man in den Spiegel schauen und feststellen, dass die Probleme noch da sind und der Harmoniefreak ohne Magnum Mandel sich mit einem Nogger zufriedengegeben hat. Wir werden niemals so sein wie sie, folgt die Erkenntnis. Wir werden noch in fünf Jahren die Grillkohle vergessen haben zu kaufen, und wir werden auch noch in fünf Jahren über die zu hohe Stromrechnung jammern und die Callcenter-Dame anmeckern, obwohl sie nichts dafür kann und ihr Hund gerade eingeschläfert wurde (aber das wissen wir nicht). Wir werden über Grippegefühl motzen und gutgemeinte Tablettentips ablehnen, werden wochenlang an der flackernden Glühbirne vorbeilaufen, bis ein zufällig vorbeigekommener, sichtlich davon genervter Freund sie endlich festdreht, werden nach Acht an der Tanke überteuerte Lebens(frust)mittel kaufen, weil wir vor Acht über den vierhundertneunundneunzig anderen Problemen neben einem leeren Kühlschrank gegrübelt haben.
Das Gute an all diesen Macken und Problemen ist, dass wir nicht müde werden, einen Haufen Optimismus in uns zusammenzukramen, dass es eines Tages anders sein wird. Dieser Haufen Optimismus trägt uns durchs Leben wie eine Luxusyacht auf dem Golf von Mexico, vielleicht nicht mit Panoramablick aber dem salzigen Geruch des Meeres in unserer Nase. Der Optimismus auf das, was da noch kommt. Auch wenn wir ahnen, dass wir in einigen Jahren noch die selben Fehler machen werden, so bleibt doch ein Fünkchen Hoffnung, dass irgendwer oder irgendwas uns dazu bewegen wird, es einmal anders zu machen. Wir werden ja nicht untergehen. Wir werden halt ein bisschen mehr paddeln müssen als die anderen, mit Händen und Armen und Füßen, rudernd.

imagepostMarch 14th, 2007 imagetime00:15

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