Und wir waren intelligent. Wir malten Malen nach Zahlen, zauberten aus ganz gewöhnlichen Seidentüchern bunte Meisterwerke, wir klebten jeden einzelnen Plastikbaum auf der Modelleisenbahn-Landschaft selbst fest. Wir hatten nichts zu entdecken außer der Welt, und die war unglaublich groß und voller Überraschungen. Nebenbei machte diese ganze Entdeckerei auch noch Spaß, so sehr, dass wir die Lego Polizeiwache am Abend einstürzen lassen und am nächsten Nachmittag von vorne und viel schöner aufbauen konnten. Das ist Phantasie!
Wir waren uns niemals zu schade, lustige Aprilscherzartikel aus der Mickey Maus oder Yps an engsten Familienmitgliedern anzuwenden. Wir konnten Stunden in den “Was ist Was?”- Bänden versinken, während die Dinosaurier aus Kunststoff brav auf ihren Einsatz warteten, dicht gedrängt neben den flauschigen Handpuppen. Wir bauten Duplo-Türme ins Unendliche, fuhren mit unseren Autos durch die Autoteppich-Stadt, verschönerten Fenster mit Window Color-Motiven (von denen damals keiner wusste, dass man sie nie wieder abkriegt), verwandelten gewöhnlich scheinende Perlenbänder in Krokodile und Mäuse und wurden nicht müde, unsere Modellbau-Flieger durch die Weiten des Hauses gleiten zu lassen. Unsere Playmobil- Familien erlebten richtige Abenteuer in der Wüste oder auf dem Bauernhof, und wenn wir nachts in unserer Kabautermann-Bettwäsche schlummerten, träumten wir schon von den Erlebnissen, die wir am nächsten Tag von unseren “5 Freunden”, den “TKKG”-Kids oder den “Drei ???” mit Schrecken und Spannung verfolgen würden. Ach, wie waren wir doch Kinder!
Wenn man eine Stunde im Puppenkönig verbringt und feststellen muss, dass dieser Laden sich in den 20 Jahren nicht mal ein bisschen verändert hat, und so geblieben ist wie man ihn in Erinnerung hatte, dann nimmt man all diese Farben und Formen in sich auf wie dicke weiche Zuckerwatte – und will sie nicht mehr hergeben! Da werden Erinnerungen an ein einfallsreiches, abwechslungsreiches Kinderleben wach, und man fragt sich, wo all die Ideen und Einfälle nur hin sind. Früher wussten wir zu spielen wie die Weltmeister, bauten aus jedem und allem ein Spielzeug, selbst, wenn es sich um einen Gebrauchsgegenstand handelte. Wir wussten noch, woraus Phantasie gemacht wurde. Wir versanken Stunden in Spielen, bis uns unsere Eltern höflich “aufweckten” und uns daran erinnerten, dass es halb acht und Zeit zum Zähneputzen war.
Wenn man eine Stunde durch den Puppenkönig läuft, auf der Suche nach diesen genialen kleinen zusammensteckbaren Styropor-Fliegern, dann vergisst man leicht, wofür man eigentlich gekommen war. Dann sitzt man eine Viertelstunde (oder länger??wer weiß das schon!) am Lego-Bautisch und baut Parks, Gartenhäuser, Terrassen und Raumschiffe. Bestaunt die Riesenpakete voller Steine, die voller Spaß und Beschäftigung stecken. Dann starrt man eine lange Weile auf die Modellbaukästen, die Barbiepuppen, die Flummis, Lenkdrachen und Spiele (mit Schnecken-Wettrennen), probiert die Handpuppen durch, wählt zwischen dem Chemie- und dem Biologie-Baukasten von Kosmos, mit Doppelhelix- Bausatz.
Und am Ende spaziert man mit einem wundervollen Strahlen und leuchtenden Augen zur Tür hinaus (es ist leider Ladenschluss) und träumt noch ein bisschen den Traum, den Kinder träumen, bevor sie in die Welt der großen Leute eintreten und ihre Phantasie – mehr oder weniger unfreiwillig – dort zurücklassen. Den Spieltrieb in sich entdecken – das tun sogar hohe Manager und entdecken ungewöhnlich gute Lösungswege für altbewährte Probleme. Ja, als wir Kinder waren stand uns die Welt noch offen. Heute steht meist nur noch ein Computer vor uns, einige Stunden am Tag, berieselt uns ein Fernsehsender, stiehlt uns wertvolle Zeit – und wir bemerken es nicht. Die Vielfalt ist zur Einfalt geworden. Wir staunen so sehr, wenn wir Kinder spielen sehen. Vielleicht würden wir umso mehr staunen, wenn wir die alten Spielzeuge hervorholten und ausgiebig Spaß hätten. Einfach mal Fünfe grade sein lassen. Dann würden wir vermutlich erkennen, dass “früher” nur ein Wort ist, das für unsere “erwachsene” Hilflosigkeit herhalten muss.
Musik: The Shins – A comet appears. Weil die auch so schön Retro sind.
(Und ja, ich habe die Styropor- Flieger gekauft 🙂 )