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AND HER DANCING AND HER LAUGHING.

Warum Lucky Luke cool ist.September 28th, 2006

Es war einmal ein kleines Mädchen, das liebte Bücher über alles. Alle 4 Wochen fand man es gedankenversunken in der Stadtbibliothek, wo es ein Buch ums andere wälzte, auszugsweise las, schmökerte und ganz einfach genoss, in die Welt der Buchstabengeschichten einzutauchen. Viele Male verzweifelten die Servicekräfte an der Ausleihstelle an ihren stapelhohen Bücherbergen, die in viel zu wenig und viel zu kleinen Plastiktüten nur sporadischen Halt fanden – zumindest bis zum nächsten Bus.

Irgendwann näherte sich auch unsere Hauptperson der Pubertät und fand die Jugendromane über erste Liebe und die Krimi-Bücher von Komissar Kugelblitz zu langweilig – zumal sie schon alle gelesen hatte. Also wagte sie sich in neue Territorien vor, tief hinein in die Comic-Ecke. Außer ihr schien niemand von dem dann in ihr ausbrechenden Comicfieber ergriffen zu sein, und so kam es bald dass die Plastiktüten am Ausleihschalter rissen und das Mädchen auf Rucksäcke und Taschen zurückgreifen musste. Innerhalb weniger Monate hatte sie die ersten Tim und Struppi- Comics durch, kurz darauf alle Lucky Luke-, Spirou und Fantasio-, sowie sämtliche Asterix und Obelix- Bände. Und schließlich sogar für sie schwer verständliche, in die Welt der Fiktion und der ungeahnten Möglichkeiten einführende Science-Fiction- Bände von Sonnenseglern, Raumschiffen, Unterwelten und weiteren futuristischen Themen.

Zehn Jahre später findet sich genau dieses lesewütige Mädchen in einer Welt der Medien wieder, die vor Buchstaben und Geschichten nur so überquillt. Die Geschichten sind nicht so nett zu lesen wie damals, und man sucht vergeblich nach den “guten Freunden” oder einem Happy End, aber zumindest besteht die vage Möglichkeit einer persönlichen Beeinflussung, um die Geschichten auf den richtigen Weg zu schicken. Während ihres FÖJ- Jahres vermochte man “Interaktivität” dazu zu sagen, nur leider hat am Ende des Tages die Sache einen Haken, nichts da mit Ausleihen, wenn der Computer heruntergefahren, das Radio ausgesummt und die Glotzkiste zu Ende geleuchtet hat, sitzt sie da und hat nichts was sie zu Bett bringt, keine spannende “Ich lass noch das Licht an”- Geschichte, keine “Unter der Bettdecke mit Taschenlampe”- Welt, keine Helden, keine bösen Buben, kein struppiger weißer kleiner Hund.

Da gibt es durchaus noch etwas das sie glücklich macht, und das sind sogenannte “Reruns”, auf Deutsch Wiederholungen. Auf “Drei Engel für Charlie” wird sie wohl vergeblich warten, aber die Lucky Luke- Episoden auf dem Kinderkanal sind mit Gold nicht aufzuwiegen. Denn auch beim sechshundertdreiundzwanzigsten Versuch der Daltons, aus dem Gefängnis auszubrechen, bleibt der tiefe und unerschütterliche Glaube, dass Lucky Luke auch dieses Mal schon hinter der bald gesprengten Gefängnismauer steht, mit diesem Lächeln und der Zigarrette im Mundwinkel, so ganz der Understatement- Held eben. Solche Menschen braucht die Welt, finde ich. Solche Geschichten, die mit tausendprozentiger Sicherheit immer gut ausgehen, die einen nachts gut schlafen lassen, mit dem Kuscheltier im Arm.

Warum, wird sich da so manch einer fragen, geht dieses Mädchen nicht einfach ins Kino? Dort findet sie doch eine Menge Geschichten mit Happy End! Der Fakt, dass die Kinobranche mittlerweile schleimige TV- Werbung machen muss um ihre Zuseher in die Kinosäle dieses Landes zurückzuholen, zeigt, dass es sich offenbar um zwei verschiedene Dinge handeln muss. Vor Jahrzehnten, als das Fernsehen noch nicht seine Monopolstellung angetreten hatte, saßen die Kinder zu Scharen in ihren Zimmern und lasen Bücher. Genau das geschieht in gewisser Weise heute auch noch, nur mit dem Unterschied, dass man das Buch nicht mehr lesen braucht, weil es ja kurz darauf eh verfilmt werden wird. Läuten die Glocken? Die Kinobranche zieht ihre Inspiration aus den Büchern. Und manch einer, der sich ein schriftstellerisches Meisterwerk einige Jahre später im Kino ansah, musste mit Bedauern feststellen dass der Hauptcharakter optisch völlig misslungen, die Geschichte auseinandergepflückt und das Happy End aus zehn anderen Filmen zusammengeschneidert worden war.

Jetzt, im Frühherbst, sitzt das Mädchen da, mit einer Tasse Tee und einem Buch in der Hand, doch die Nostalgie aus der Bibliothek ist verflogen. Je nachdem, um welches Buch es sich handelt, kehrt sie jedoch schrittweise zurück und verzaubert die Buchstaben zu Wunderwelten und lehrreichen Anekdoten. Was sie weiß, ist, dass es niemals wieder so wie früher werden wird, und dass der Fortschritt auch seine guten Seiten hat. Heute erfindet sie ihre eigenen Geschichten und schreibt Weblog. Darin vermischen sich all die scheinbar unauffällig wirkenden Details ihres kleinen Alltagslebens mit den Fantasieklebebildchen in ihrem Kopf, den Zitaten von weisen Menschen, aus denen sie Wissen schöpft, mit den wunderschönen Kleinigkeiten die man manchmal übersehen könnte, und mit Dingen, die weit in der Ferne liegen und darauf warten, zu einer eigenen Geschichte ausgebaut zu werden. Denn auch sie bergen Potential, das der wahre, erfinderische, immer auf der Suche nach einer wertvollen Idee befindliche, denkende Kopf zu schätzen weiß. Kopfkino. Wer braucht schon eine Leinwand?

Und das Mädchen? Das schreibt still vor sich hin, um dieser Überflutung in ihrem Kopf Herr zu werden, ebenso still beobachtend, abschätzend, manchmal abwartend, die Augen weit offen. Geht mal wieder in die Bibliothek, um zu sehen, wie zerfleddert die Comic-Hefte nun sind. Trinkt Tee, und lernt, von den guten Buchstabengeschichten dieser Welt. Literatur ist für mich: Verzaubert werden. Kopfkino. Lucky Luke im Kinderkanal, wenn schon nicht auf weißen Din A 4- Seiten gedruckt. Die mit Abstand herausragenden Filme. Denn auch das Mädchen braucht manchmal einen Abend im Kino, damit sie über all ihren Gedanken und all den Buchstaben nicht eines vergisst: dass sie Freunde hat, und ein Leben, und eine Geschichte, ihre Geschichte.

imagepostSeptember 28th, 2006 imagetime23:32

3 Kommentare

  1. j0nes:

    schön!

  2. site admin:

    oh, der Kitesurfer hier 🙂 danke für das Kompliment. mag den text auch sehr, sehr.

  3. Tänzer Inge:

    The story is absolutely great, beautiful. Carry on with writing.

    mum

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